In einem fernen Land lebte eine Frau namens Rahel. Ihr einziges Kind starb, als es ein Jahr alt war. Von Trauer überwältigt, den kleinen Körper fest umklammernd, irrte sie durch die Straßen und flehte jeden um Hilfe an. Alle Menschen, die sie auf der Straße traf, fragte sie, „Wisst ihr eine Medizin, die meinem Kind das Leben wiedergeben kann?” Einige ignorierten sie, andere lachten sie aus, wieder andere hielten sie für verrückt. In ihrem Kummer ging sie zu einem heiligen Mann und fragte ihn: „Welche Gebete und Beschwörungen kennst du, um meinen Sohn wieder zum Leben zu erwecken?“
„Es gibt nur ein Mittel gegen dein Leiden. Geh hinunter in die Stadt und bring mir ein Senfkorn mit, aus einem Haus, das noch nie Leid und Trauer erfahren hat. Damit werden wir den Kummer aus deinem Leben vertreiben.”
Rahel war erleichtert und machte sich sofort auf in die Stadt. Beim ersten Haus, klopfte sie an und fragte: „Habt ihr Senfkörner?“ Dabei muss man wissen dort, wo Rahel lebte, jedes Haus genug Senfkörner hatte.
„Natürlich haben wir Senfkörner“, war die Antwort. Rahel war schon glücklich über die Antwort, da fragte sie doch noch: „Ist in diesem Haus schon einmal jemand gestorben?” „Ja, letztes Jahr, der Großvater”. Sie blieb eine Weile und tröstete sie. Dann ging Rahel zum nächsten Haus und fragte: „Ein heiliger Mann schickt mich, ich soll ihm ein Senfkorn bringen, aus einem Haus, in dem noch nie jemand gestorben ist.”
“In diesem Haus sind schon viele Menschen gestorben”, bekam sie zur Antwort. Sie blieb auch hier um etwas Trost zu spenden.
So ging sie zum nächsten Haus und stellte die gleiche Frage. “In unserer Familie hat es zahllose Todesfälle gegeben”, sagte man ihr. Und so war es auch im dritten und vierten Haus, bis sie in der ganzen Stadt gefragt hatte und erkannte, dass der Auftrag nicht zu erfüllen war.
Schließlich beschäftigte sie sich so sehr mit dem Leid anderer Leute, dass sie aufhörte nach diesem besonderen Senfkorn zu suchen.
Da brachte sie den Körper ihres Kindes zum Verbrennungsplatz und nahm endlich Abschied von ihrem Kind und kehrte zum heiligen Mann zurück. “Hast du den Senfsamen?” fragte er sie.
“Nein”, antwortete sie. “Ich fange an zu verstehen, was Ihr mich lehren wolltet. Trauer hat mich geblendet und mich glauben gemacht, nur ich allein hätte unter dem Zugriff des Todes zu leiden.”
Der Mann sprach: „Nur ein Gesetz im Universum ändert sich niemals! Alle Dinge wandeln sich und nichts ist dauerhaft. Alles ist vergänglich und unbeständig.“
Und mit der Zeit wurden auch der Schmerz, die Trauer und das Leid in Rahels Leben deutlich leichter erträglich.